mama werden in hannover: unser interview mit antje, südstadt-mom und freiberufliche hebamme

mama werden in hannover: unser interview mit antje, südstadt-mom und freiberufliche hebamme

bevor wir uns mit baby und buggy aufmachen können ins nesthäkchen oder unsere babyfreie zeit im porzellan-café verbringen, muss der kleine mensch, um den sich unser neues leben dreht, zunächst erst mal eines: hinaus aus dem bauch, hinein in die welt.
vor, während und nach der geburt begleitet uns zumeist eine hebamme. bisher war das noch ganz selbstverständlich in deutschland. doch ihre situation, besonders die der freiberuflerinnen, ist aufgrund der haftpflichtproblematik aktuell sehr prekär.
und auch für die angestellten klinikhebammen sind die arbeitsbedingungen nicht immer die einfachsten: sie sind seit jahren stark gefordert und betreuen täglich mehrere geburten gleichzeitig.
und in hannover? wie ist hier die situation für junge mütter und wie geht es den hebammen, die die frauen begleiten?
das erzählt uns antje (28) in unserem interview: sie ist freiberufliche hebamme und wohnt mit ihrem mann und ihrer kleinen tochter in der südstadt.
sie bietet vor- und nachsorge an sowie elternkurse in der medizinischen hochschule hannover. bevor antje freiberuflerin wurde, arbeitete sie in einem der großen hannoverschen krankenhäuser im kreißsaal. ausgebildet wurde sie an der bekannten akademie für gesundheitsberufe in wuppertal.

geburtshelferin ist für viele junge frauen ein traumberuf. was war für dich der grund, als hebamme arbeiten zu wollen?
ich war schon als kleines kind völlig fasziniert von schwangeren frauen. hebamme zu sein, frauen vor, während und nach der geburt zu begleiten, ganz individuell, das ist für mich eine berufung – mich hat einfach nie ein anderer beruf interessiert.

wie war die erste geburt, die du begleitet hast?
das war schon vor der hebammenschule, ich war praktikantin in einem kleinen krankenhaus und von den ersten wehen bis zur geburt dabei. sie verlief einfach total schön: spontan, ohne komplikationen, alle haben vor glück geweint – ich war völlig geflasht davon, was der körper alles schaffen kann.

du betreust frauen aus allen häusern in hannover. was berichten dir die mütter, die du betreust?
grundsätzlich ist die geburtshilfe in hannover auf einem guten niveau. ich habe bisher von keiner frau, die ich betreut habe, eine absolut negative erfahrung erzählt bekommen. es kommt immer sehr auf die frau und ihre bedürfnisse an, und die sind ja ganz unterschiedlich, genau wie die schwerpunkte der einzelnen kliniken.

IMG-20150919-WA0001spürt man auch in hannover die konsequenzen der haftpflichterhöhungen?
in hannover gibt es jetzt schon zu wenige hebammen für die vor- und nachsorge, weil viele ihren beruf eben wegen der hohen haftpflicht nicht mehr ausüben können. wir müssen frauen immer öfter absagen, weil wir keine kapazitäten haben, um das aufzufangen. das ist schon echt skurril und tut uns einfach total leid. die meisten rufen ja mittlerweile eh schon in der frühschwangerschaft an, und das ist trotzdem manchmal schon zu spät.

du hast als hebamme im kreißsaal gearbeitet, jetzt bist du freiberuflerin und für die vor- und nachsorge der frauen zuständig, machst aber keine geburtshilfe mehr. würdest du gerne wieder geburten begleiten?
ja! ich vermisse die geburten total! aber wenn ich an die arbeitssituation im krankenhaus denke, dann tun mir meine kolleginnen ehrlich gesagt eigentlich eher leid, besonders die in den großen häusern.
es ist mittlerweile normal, dass eine hebamme mehrere frauen gleichzeitig betreut, bis zu sechs frauen. das kann doch nicht gut sein. das „hebammenhandwerk“, also fragen, beraten, vorsichtig tasten, fühlen – das geht aufgrund der arbeitsbelastung und personaleinsparung in den kliniken deutlich zurück und ist so weit weg von der frau und dem kind.
aber freiberufliche geburtshilfe geht für mich als junge mutter einfach nicht, man ist ja rund um die uhr erreichbar. abgesehen davon, dass sich das ja kaum eine hebamme mehr leisten kann.
die haftpflichtprämie für hebammen, die außerklinische geburten leiten, beträgt zum 1.7.15 über 6000 euro pro jahr, das muss man erstmal erarbeiten. und man kann ja auch nicht unendlich viele frauen betreuen: vier geburten in vier wochen, das ist schon wirklich viel für eine beleghebamme, weil ja auch noch die vor- und nachsorge dazukommt.

wie schätzt du die situation der geburtshilfe in deutschland ein: hat sie sich in den letzten jahren verändert bzw. verschlechtert?
ja, das sagen schon viele, aber das ist nicht erst seit gestern, das geht ja schon viel, viel länger so. geburt ist kein natürlicher vorgang mehr.
es ist doch so: bei spontanen geburten zahlen die kliniken drauf, es gibt pauschalen von den krankenkassen pro aufenthalt der mutter. wenn die kosten des geburts- oder wochenbettverlaufs darüber gehen, ist das schon mal schlecht.
für kaiserschnitte gibt es mehr geld von den krankenkassen. und das erste, was in einem krankenhaus geschlossen wird, ist der kreißsaal. geburtshilfe ist nichts, womit sich gut geld verdienen lässt. und personal wird überall abgebaut.

IMG-20150919-WA0003und die situation der hebammen in hannover?
vor ein paar monaten wurde ja auch die geburtsklinik im nordstadtkrankenhaus geschlossen. und das merkt man einfach, es gibt immer noch mehr arbeit, stellen werden trotzdem gestrichen, das ist oft einfach fließbandarbeit und passt eben überhaupt nicht zu so einem intimen vorgang einer geburt. dass es stressig ist, sagen viele, aber eben auch schon seit längerem.

wo in hannover wolltest du dein kind zur welt bringen?
ich wollte ja am liebsten in das geburtshaus eilenriede, das ging aber leider aus medizinischen gründen nicht. es ist richtig schön dort, alles entspannt und es gibt eben keine medizinischen interventionen, sondern die frau hat ruhe und alle zeit, die sie braucht. zum schluss sind sogar zwei hebammen da, davor immer eine, die geht auch nicht weg zu einer anderen frau.
es herrscht ja so ein bisschen die meinung, dass geburten in geburtshäusern nicht sicher sind, weil u.a. kein medizinisches notfallpersonal anwesend ist. weshalb ja die meisten frauen im krankenhaus entbinden möchten. aber eigentlich sind die geburten in geburtshäusern sogar sicherer, weil die frauen sich viel besser aufgehoben fühlen, sich entspannen können.
es gibt keinen wehentropf, keine schmerzmittel, keine pda, nichts, was künstlich in den geburtsverlauf eingreift. der zeit- und kostendruck im krankenhaus führt ja leider oft zu forcierten geburten, da kommt dann z.b. öfter als nötig der wehentropf zum einsatz, der wiederum den geburtsverlauf künstlich ändert und letztlich probleme macht, die, wenn man der frau und dem kind etwas mehr zeit geben würde, gar nicht erst auftreten würden.
das ist den frauen auch bewusst und deshalb verlaufen die geburten in den geburtshäusern in der regel deutlich besser, also ohne medizinische interventionen mit all ihren konsequenzen. natürlich: wenn es komplikationen gibt, dann wird ins krankenhaus verlegt bzw. eine geburt im vorfeld auch gar nicht angenommen.

und als letzte frage: wie siehst du die zukunft der geburtshilfe?
meine größte sorge ist, dass es nach dem 1.7.2016 keine freiberufliche hebammen mehr gibt, weil wir keine versicherung mehr bekommen.
das betrifft dann alle freiberuflichen hebammen, auch die, die „nur“ die vor- und nachsorge machen, denn wir dürfen ohne eine haftpflichtversicherung nicht arbeiten.
konkret heißt das: keine geburtsvorbereitungskurse, keine vor- und insbesondere keine nachsorge mehr im wochenbett. die versorgung müssen dann die kliniken und frauenärzte übernehmen. was die wiederum gar nicht leisten können. dann gibt es auch keine beratung mehr zu hause bei stillproblemen, pflege im wochenbett usw.
manche frauen sind nach der geburt ja einfach noch völlig geschwächt – die dürfen sich dann mit ihrem baby ins wartezimmer ihres frauenarztes setzen.

liebe antje, vielen dank für das interview und für dich und all deine kolleginnen von herzen alles gute!

du möchtest dich mehr über die hintergründe zur haftpflichtproblematik informieren?
diese artikel unter tagesschau.de geben dir einen einstieg in die komplexe sachlage.

hebammen in existenzangst (02.07.2015)
www.tagesschau.de/hebammen-geburtshilfe-101.html

hebammenstreit beigelegt – vorerst (05.08.2014)
www.tagesschau.de/inland/hebammen-100.html

geburtshilfe wird für viele zu teuer (22.11.2013)
www.tagesschau.de/inland/hebammen126.html

hebammenunterstützung ist ohne elternprotest kaum möglich. homepage der bundeselterninitiative mother hood: www.mother-hood.de

initiativen gegen die wirtschaftlich optimierte geburt findest du unter change.org

www.change.org/p/geburt-darf-keine-privatleistung-werden-gegen-die-wirtschaftlich-optimierte-geburt-elternprotest